Es ist nun schon fast eine Woche her, aber noch immer kommt das Gespräch darauf, trifft mensch auf Leute, die demselben Event beiwohnten. Und immer wieder die Frage: War das inszenierte Selbstdemontage, die letztlich in der Logik der theoretischen Aussage lag, oder war es dann doch beginnende Alterssenilität? Die Rede ist von Gayatri Chakravorty Spivak, einer der Berühmtheiten im Bereich der Postcolonial Studies, und ihrem Vortrag am 21. März an der Universität Frankfurt, zusammen mit Judith Butler – einer der Berühmtheiten der Gender Studies.
An diesem Abend ging es nicht speziell um Subalternität in post-, neo- oder sonstig kolonialen Kontexten und auch nicht um sex, gender, sexuality, desire und die heteronormative Matrix, sondern ganz grundsätzlich um die Frage „What is critique?„.
Trotz Parforceritt durch die Geschichte des Kritikbegriffs in der Philosophie, kam schon in den einleitenden Kurzvorträgen von Nikita Dhawan und María do Mar Castro Varela das Unterhaltungsmoment, das den gesamten Abend auszeichnete, nicht zu kurz. „We work together, and we also do other things together“, stellte Dhawan ihre Kollegin „María“ vor, die dann, ans Rednerinnenpult tretend, meinte, wir wüssten nun ja schon alles Wesentliche von ihr.
Sofortige Beifallsstürme löste Judith Butler mit ihrem ersten Satz in diesem vollbesetzen riesigen Audimax aus. „I’m a little worried about this excellence-project“ – damit sprach sie offensichtlich vielen aus der Seele (oder aus was auch immer), die nun schon seit einer ganzen Weile mit Unbehagen auf das Banner „Normative Orders/ Cluster of excellence“ gestarrt hatten, dessen beide Zeilen so seltsam widersprüchlich und zugleich beängstigend zur Deckung kommend wirkten. In ihren folgenden kurzen Ausführungen ging es Butler vor allem um eine Kritik an der geradezu imperialen Verwendung der englischen Sprache im transnationalen akademischen Kontext. „Warum sprechen wir immer Englisch, wenn wir ausgezeichnet sein wollen?“ Dass sie schon aus Lust an der Sprache lieber auf Deutsch vorgetragen hätte, nahm mensch der kleinen und doch so präsenten Frau mit ihrer ruhigen, aber humorvollen Art zu sprechen sofort ab. Dann beugte sie sich aber den Wünschen der Veranstalterinnen und trug ihre Überlegungen zum Kritikkonzept anhand des marxschen Frühwerks und dessen Verwendung von „human“ als „the name of the not yet realisable future“, „an unthinkable future nevertheless arriving“ auf Englisch vor. In der späteren Podiumsdiskussion fand Butler noch Gelegenheit, die nun auch in Deutschland aktuellen Entwicklungen hin zu einer unternehmerischen Hochschule und der Vermarktung geisteswissenschaftlicher Erkenntnis zu kritisieren.
„I don’t think ‚cluster of excellence‘ is even an English phrase“, schloss Spivak mit ihrem ersten Satz an den Lach- und Klatscherfolg ihrer Vorrednerinnen an, und schaute fragend zur Muttersprachlerin Butler, die nun in der ersten Reihe saß. Hatte Butler zuvor Spivaks These zitiert, dass Kritik nur dann solche ist, wenn sie die eigenen Fundamente angreife, nicht wenn mensch auf ihr seine (evtl. auch ihre) eigene Machtposition aufbauen kann, so machte sich Spivak nun offensichtlich daran, genau das performativ vorzuführen: die eigenen Fundamente angreifen, zumindest diejenigen einer ernstzunehmenden hochreflektierten Wissenschaftlerin von internationalem Ruhm. Den Höhepunkt des auch für Kant-Kenner_innen sicher nicht sofort nachvollziehbaren, weil etwas konzeptlos hin- und herspringenden (für Kant-Nichtkennerinnen wie mich also komplett unverständlichen) Vortrags bildete der Versuch, aus einem von Spivak selbst geschriebenen Text vorzulesen: dem Eintrag „planetarity“ im bald erscheinenden Dictionary of Untranslatables.
Um das wiederholte Stocken der Lektüre zu erklären, hielt Spivak das DinA 4-Blatt in die Höhe, auf das in winziger Schrift auf maximal ein Viertel der Seite der zweispaltige Text gedruckt war. Der Drucker habe ihr das so klein ausgespuckt und sie hatte keine Zeit, sich mit den Druckereinstellungen zu beschäftigen. Wieder lachte der ganze Saal, aber es schlich sich ein leichtes Unbehagen ein, ob wir gerade mit der oder über die alternde und zudem an diesem Tag gesundheitlich angeschlagene Wissenschaftlerin lachen. Trotz wiederholter Verleser, die Sich-selbst-Korrigieren erforderten, sowie der Tatsache, dass kein einziger Satz so am Stück vorgetragen wurde, das mensch dessen Sinn hätte erfassen können, was bei Schriftsprache ohnehin schon eine Herausforderung darstellt, bewies Spivak eine erstaunliche Hartnäckigkeit und brach erst etwa nach der Hälfte des Textes ab. Auch in der anschließenden Diskussion – in der Butler immer wieder Versuche einer ernsthaften Diskussion unternahm, indem sie erst Spivaks Positionen aus diversen ihrer Veröffentlichungen referierte, um auf dieser Basis dann ihre Kritik anzubringen, dann aber auch irgendwann einfach aus dem Nähkästchen des universitären Alltags plauderte – wurde mir persönlich nicht klarer, was „planetarity“ nun sein soll. Ich werde mir wohl besagten Wörterbucheintrag besorgen müssen, wenn er erschienen ist.
Den Abend in Frankfurt möchte ich trotzdem nicht missen. Nicht nur war die Interaktion zwischen der auch schon arrivierten Wissenschaftlerin Butler mit ihrer älteren Kollegin geradezu rührend, alles in allem war es einfach großes Kino.
Ich weiß nicht, ob es die wahrscheinlichste Variante ist, aber ich möchte mich gerne dafür entscheiden, dass es eine großartige und programmatische Inszenierung war, um mit diesem ganzen fragwürdigen Startum akademischer Größen umzugehen. Wie bringt mensch die Gemeinde der Theorie-Gläubigen dazu, wieder kritisch mit ihren Vorbildern umzugehen? Wie führt mensch die Absurdität vor Augen, ständig als Autorität um Zustimmung gefragt zu werden, ob die Subalternen nun (im sogenannten arabischen Frühling etwa) endlich gesprochen haben, oder ob diese oder jene Genderperformanz nun endlich subversiv genug ist? Und das Bewusstsein, selbst in die Strukturen eingebunden zu sein, die mensch kritisiert: Sicherlich haben die beiden ein ordentliches Honorar von eben jener unternehmerischen Hochschule eingesackt, die sie kritisieren, aber genau so, konnten sie von so vielen Menschen gehört werden. Womit wir wieder bei Butlers auch hier vorgetragener Einsicht wären, dass die sozialen und gesellschaftlichen Strukturen, in die wir eingebunden sind, uns als Subjekte unterdrücken und zugleich erst als solche ermöglichen; dass Kritik an diesen Strukturen also immer auch die eigenen Fundamente angreift, auf denen solche Kritik überhaupt formuliert werden kann. Und, was Butler nicht nur aussprach, sondern der Abend auch selbst zeigte: „The academic discourse on critique is necessarily insufficient.“
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wunderbar! Duj hast mir aus der Seele gesprochen.
Dieses Gefühl zwischen fremdschämen und Irritation, das mich während dem Vortrag beschlich, hätte ich nicht besser auf den Punkt bringen können.
Bei mir wich es jedoch irgendwann dem Ärger, daß die Veranstalterinnen Spivak nicht schon im Vorfeld entgegen gekommen sind und sie an dem Vortrag gehindert haben. Schließlich war es offensichtlich, daß sie nicht ganz auf ihrer geistigen und gesundheitlichen Höhe war.
Liebe mimmiamara,
wir möchten für das nonprofit Zeitschriftenprojekt „diskus“ aus Frankfurt (http://www.copyriot.com/diskus/) noch einen kurzen Bericht über die Butler/Spivak-Veranstaltung abdrucken. Da uns kurz vor Druck ein zugesagter Bericht wieder abgesagt wurde, möchten wir dich gerne fragen, ob wir deinen Blog-Eintrag abdrucken könnten. Uns in der Redaktion hat die Pointierung gefallen und wir würden uns freuen, wenn du dich bei uns melden würdest, damit wir die Details besprechen können. Eine Kontaktadresse findest du auf der angegebenen Homepage.
Danke und beste Grüße!
Ich wollte nur kurz nachfragen, ob meine Mail von Mittwoch bei Euch angekommen ist?