Zur Wiederauferstehung des Autors aus dem Geist der Publikationsliste
Auf Differentia denkt Klaus Kusanowsky über „die beinahe besinnungslose Verlängerung von Publikationslisten“ als ein systemtheoretisch zu durchschauendes „Verhaltensmuster des akademischen Bluffens“ nach, dessen Regel ich an dieser Stelle gern als eine Art vorgezogenes Intermezzo in das ABC des Schreibens einschieben möchte:
Die sich daran knüpfende Maxime lautet: verlängere auf Teufel komm raus die Liste deiner Publikationen und verbreite gleichzeitig die Behauptung, dass es auf Qualität und nicht auf Quanität ankäme, weil du dich darauf verlassen kannst, dass die Menge deiner Publikationen ohnehin keiner lesen kann; und je mehr du schreibst, um so wahrscheinlicher bestätigt sich diese Vermutung. Da alle andere genauso handeln und du selbst genauso wenig eine Chance hast, die Publikationen aller anderen zu lesen, kann es dir vortrefflich gelingen, einen Kenntnisreichtum zu simulieren, indem du dich auf wenige Zitate beschränkst, welche du obendrein leicht durch ein Zettelkastenprogramm organisieren und verfügbar machen kannst. So kannst du erstens deine Unkenntnis verschleiern und zweitens alle anderen der selben Unkenntnis verdächtigen, ohne allerdings darüber Klarheit zu gewinnen, weil alle anderen an der Verlängerung der Intransparenz genauso mitwirken wie du selbst.
Mit den Publikationslisten verlängert sich natürlich auch dieses Leiden der Wissenschaft an sich selbst. Ob das Internet dem Spuk ein Ende setzen könnte, wie Kusanowsky zu vermuten oder jedenfalls zu hoffen scheint? Mag sein. Es wird wohl davon abhängen, ob die Möglichkeiten, die das Internet bietet, den institutionalisierten Bluff aufrechtzuerhalten, zu steigern (GoogleBooks, eJournals, Volltextsuche, etc.) oder selbst noch einmal zu simulieren, nicht größer und praktikabler sein werden als die Chancen und Hoffnungen, die sich mit der Produktion kollaborativer Hypertexte seit den 1990ern und mit dem Tod des Autors bereits seit den 1960er Jahren verbinden.
Was an den Maßstäben der Vernunft gemessen idiotisch erscheint, erweist sich dann vielleicht doch als eine Art List der Vernunft, die in den Listen ihrer Autoren und bluffenden Mündel noch immer die Simulation ihrer Wiederauferstehung als Untote feiert: Publikationslisten sind nur der Anfang.
P.S. Wer den letzten Satz zitiert, bekommt eine kenntnisreiche Fußnote in meinem nächsten Artikel. Oder jedenfalls einen Eintrag in meinem Zettelkasten. Irgendein Publikationszwang ergibt sich bestimmt.
Wenn es dich interessiert würde ich als Ergänzung dazu einen schon zurück liegenden Artikel von mir dazutun:
Der moderne Mensch ist als Genie zur Welt gekommen. Gemeint ist damit natürlich seine soziale Existenz, an deren Beginn gemäß seiner Selbstbeschreibung das Rousseausche Subjekt steht, das keine soziale Welt zur Voraussetzung hat, sondern welches seine natürliche Freiheit gegen die Verlockungen und Zumutungen der Zivilisation eintauscht. Es tut dies aus eigenem Vermögen, so der Mythos, aus sich selbst heraus; es erschafft gleichsam seine soziale Existenz als genialer Bezwinger von Gewalten, deren dämonische Kräfte an seinen Fähigkeiten ihre Grenzen finden. Seine eigene Fähigkeit ist – so könnte man paradox formulieren – auf universelle Selbstbestimmung spezialisiert, woraus sich der transzendentale Wagemut ableitet, der sublimierend die Beschränkheit des eigenen Vermögens zum Ausgangspunkt für die vollständige Beherrschung der daraus resultierenden Schwierigkeiten macht.
Eine gedankenreiche Ergänzung – allerdings leuchtet mir der Zusammenhang von modernem Menschsein und ursprünglichem Geniesein nicht ganz ein, zumal Rousseau m.E. vielleicht nicht ganz der passende Bezugspunkt ist. Denn ihm geht es zwar um die Beschreibung eines von „Sozialität“ unverstellten Menschen, der aber sehr wenig, um nicht zu sagen, eigentlich gar nichts mit dem faustischen Genie zu tun hat. Was Du in Deiner Erzählung beschreibt liest sie eher wie eine Art „Naturgeschichte des kantischen Subjekts“.
Wenn es indessen um moderne Subjektivität geht, würde ich zwischen transzendentalem Subjekt (worin alle gleich sind) und historischem Individuum (worin alle verschieden sind) unterscheiden. Die Geschichte(n) des ersten wäre(n) Kulturhistorie(n), die zweite(n) Biographie(n). Mit dem Umstand, dass sich das eine ohne das andere nicht erzählen lässt, hängt zusammen, dass beide auch nicht aufeinander zu reduzieren sind.
Darüber hinaus würde ich den Geniebegriff auch nicht allein auf die faustische Habitualisierung reduzieren. Das poetische Genie bzw. sein Habitus ist anderer, weniger faustischer, vielmehr romantischer Natur.
Ich sehe allerdings den Punkt, auf den Du hinauswillst: das Urheberrecht als eine institutionalisierte Form der Autonomieansprüche des bürgerlichen Subjekts. Hier würde ich Folgendes zu bedenken geben: zum einen verbürgt das Urheberrecht weniger Genialität als eben „geistiges Eigentum„. Von dieser ökonomischen Basis aus betrachtet ist es nicht mehr aber auch nicht weniger fragwürdiger als „Privateigentum“ ohnehin. Den auch dieses ist, als Produkt von Arbeit, ja keine creatio ex nihilo, sondern lediglich eine Transformation des vorher schon Dagewesenen. Die Eigentumsansprüche leiten sich also weniger aus den stofflichen Gehalten, sondern vielmehr aus den Formen ihrer Umarbeitung und Aneignung ab. So verhält es sich auch bei dem „geistigen Eigentum“. Eine tragfähige Kritik des Urheberrechts sollte m.E. also eher an dem Arbeits- als an dem Geniebegriff ansetzen, auf den sich doch ohnehin kaum noch jemand ernsthaft beruft.
Das betrifft schließlich auch die Wissenschaft (auf die Deine Kritik ja eigentlich gemünzt zu sein scheint). Hier wird Urheberschaft doch auch nicht zwingend über die Schöpfung eines ständig radikal Neuen oder Revolutionären definiert, sondern über die Bestätigung oder Widerlegung des bisher nur Vermuteten, das Füllen oder Ausweisen von Lücken, das Verbinden oder Unterscheiden von Quellen usw. Das Auftreten von Genies ist hier der (paradigmatische) Ausnahme- und nicht der (triviale) Normalfall, mit dem sich das Recht auf „geistiges Eigentum“ legitimiert.
Um noch einmal auf die Publikationslisten zurückzukommen: Gerade sie werden ja zunehmend zum Ausweis weniger der genialen Begabung, sondern strategischer Selbstverwertungsfähigkeiten, die ihrerseits zum Gegenstand kulturtechnischer Bearbeitungen werden, wie z.B. ein vorgestern in der ZEIT erschienener Artikel über Seminare zeigt, „in denen die Promovenden an ihren Publikationsstrategien feilen können“. Mich wundert ja ein bisschen, dass da nicht „Promovierende“ steht, aber kaum, dass der Bericht die Mittel zu Fortsetzung des Problems als eine Form seiner Bewältigung verkauft.
[…] Arbeiten zu einem Thema wirklich lesen, geschweige denn bedenken zu können, wobei das besinnungslose Verlängern von Publikationslisten diese Unmöglichkeit zur Notwendigkeit akademischen Bluffs macht. Darum gerät auch das Anlegen […]