
© Verlag Klaus Wagenbach
Ich übersetze gerade Stefano Bennis Prendiluna, einen angenehm abgedrehten Roman über den Wahnsinn dieser Welt im Allgemeinen und der italienischen Gesellschaft im Besondern und darüber, wie man es schafft, unter diesen Umständen zu den »Gerechten« zu gehören. In einem Kapitel besucht die Protagonistin Prendiluna (eine pensionierte Lehrerin, die ihre zehn Katzen an zehn Gerechte verschenken muss, um die Apokalypse zu verhindern) eine ehemalige Schülerin, die nun in einem Sexshop arbeitet. Diese schenkt ihr zum Abschied ein Dildofon.
Der Klingelton dieses Dildofons besteht im italienischen Original aus zwei Zeilen des Scherzlieds »Mal d’Africa« (Afrikaweh), auch bekannt unter den Titeln »Africa lontana« (Fernes Afrika), »Il pianto di Zambo« (Zambos Klage) oder einfach »La canzone di Zambo« (Zambos Lied), nämlich:
»La negretta disse a Zambo
Non ti voglio senza gambo«(Die kleine [N-Wort] sagte zu Zambo
Ohne Stängel will ich dich nicht).
Wie gehe ich damit in der deutschen Übersetzung um?
Neben den Stellen im Roman, an denen Prendilunas Dildofon klingelt und ihr jeweils Schamesröte ins Gesicht treibt, wird das Lied im Roman noch ein weiteres Mal erwähnt: Als zwei aus dem Irrenhaus entflohene ehemalige Schüler von Prendiluna Geld brauchen, um sich neue Klamotten zu kaufen, stellen sie sich an die Straßenecke und singen. Bei When the Saints kommen zwei Euro zusammen, bei Banana Boat ein Euro, bei einem Medley aus Azzurro und Quizás quizás quizás drei Euro. Als sie dann La negretta disse a Zambo mit gestischer Untermalung singen, nehmen sie in wenigen Minuten 36 Euro ein.
Da es sich um ein volkstümliches »Scherzlied« handelt, kursiert es in verschiedenen Versionen, die allerdings alle ähnlich unlustig sind: In gebrochenem Italienisch singt darin besagter Zambo »Wenn ich riechen Bananengeruch/ sofort ich denken an fernes Afrika …« usw. Vor allem vermisst er die Hütte, in die er für ein Schläfchen immer von hinten reinschlüpfte, bis er sich in Mosambik am »großen Zeh« verletzte und dieser, um eine Infektion zu vermeiden, amputiert werden musste. Darauf ließ ihn das Mädchen nicht mehr in die Hütte, weil sie ihn nicht ohne Stängel will (auf YouTube kann man sich das gesamte Lied anhören).
Das Lied bedient also eine ganze Reihe rassistischer Stereotype und steckt voller plumper sexueller Anspielungen. Dass ausgerechnet dieses Lied im Roman so gut ankommt, passt zur dort gezeichneten Welt, die leider weniger übertrieben, ja, unserer realen Gesellschaft ähnlicher ist, als uns lieb sein kann. Das einzig Positive, was man über dieses Lied sagen kann, ist, dass es – worauf mich ein wunderbarer Übersetzerkollege aufmerksam machte, der aus dem Deutschen ins Italienische übersetzt – auf die Melodie des berühmten verliebten Pinguins gesungen wird: »Il pinguino innamorato« des Trio Lescano, 1940.
Nun spielt die Handlung in der deutschen Übersetzung des Romans zwar immer noch in einer (nicht konkreter benannten) italienischen Großstadt. Damit deutsche Lesende aber Witz und Anklage dieses Klingeltons ohne lange Übersetzerinnennachworte direkt bei der Lektüre verstehen, braucht das Dildofon einen deutsch- oder evtl. auch englischsprachigen Klingelton. Auf meine Nachfrage beim Autor, welche Konnotationen ihm besonders wichtig seien oder wer genau dieses Lied höre, gibt er mir für die deutsche Fassung weitgehend freie Hand: »Hauptsache ein etwas versautes Scherzlied«.
Bei Dildo und gestischer Untermalung fällt mir als erstes »Schwanz ab« von den Ärzten ein. Das würde durch »runter mit dem Männlichkeitswahn« zwar gut zum Dildo passen, den Witz aber gleichzeitig auf eine ganz andere, zu intellektuelle Ebene heben als die tumb-rassistische im italienischen Original. Alternativ kommt mir noch »A la la la la long, push it, push it some more« von Inner Circle in den Sinn, aber das ist etwas blass und gefällig.
Ich schreibe also einem Freund, den ich immer mal als Musik-Joker zu Rate ziehe und den ich hier im Blog schon mit seinem klugen Satz über das »Versprechen der Popmusik« (vgl. den Beitrag »Auschwitz tanzen«) zitiert habe. Ich frage, ob er – vielleicht weiter in der Schlager-Ecke – irgendein Lied kenne, wo das männliche Geschlechtsteil eine (leicht verklausulierte) prominente Rolle spielt und wenn möglich sogar verlustig geht.
Er ist zwar etwas erschüttert, auch in solchen Fragen zu Rate gezogen zu werden, und hat spontan keine Idee, macht sich aber auf die Suche. Er meint, dass man vielleicht in Richtung »Mallorca-Ballermann-Aprés-Ski-Karneval-Partyhits« etwas finden könnte. Der deutsche Schlager, gerade zu der Zeit, als rassistische Stereotype noch völlig ungeniert transportiert wurden, sei nicht allzu explizit, im Gegenteil, eher verschämt. Noch am selben Tag kommt eine Mail:
Vielleicht „20 cm“ von Möhre? Geht das in die Richtung? Ich fürchte, das hat sogar einen gewissen Bekanntheitsgrad…
Das ist in jedem Fall schon deutlich tumber als »Schwanz ab«, und ich schreibe zwei Zeilen daraus in die Leseprobe, die ich schon vorab für die Vertreter*innen beim Verlag abgeben muss, gebe dem Lektor aber Bescheid, dass ich bis zur Gesamtabgabe wegen des Liedes noch weiterrecherchieren werde. Noch hoffe ich, vielleicht doch noch ein Lied zu finden, dass auch den rassistischen Aspekt abdeckt. Außerdem frage ich mich, ob »Zwanzig Zentimeter« aus dem 21. Jahrhundert zu neu ist, wenn die italienische Vorlage aus den 1940er Jahren stammt. Zeitlich und musikalisch näher wäre »Die ganze Welt ist wie verhext/ Veronika, der Spargel wächst« – aber das ist wieder zu harmlos.
Übersetzerkolleg*innen aus dem Italienischen geben mir den Tipp, im Volksliederarchiv (www.volksliederarchiv.de) zu recherchieren, da gebe es eine Rubrik »Erotische Lieder«, außerdem könne man nach historischen Epochen filtern (leider nicht beides gleichzeitig). Abendelang klicke ich mich nun durch die Abgründe deutschen Liedguts:
Bei »Hört ihr lieben Brüder, wie mir’s ergangen ist«, ist zwar das »tu-la-la« ähnlich wie bei der italienischen Vorlage, aber es gibt keine zwei (oder auch vier) Zeilen, die für sich genommen genug aussagen. Bei »Freut euch des Lebens« kommt in einer Strophe zwar das N-Wort vor, aber es geht nur um die Eier, nicht den Schwanz. Das Lied »Es hatten drei Könige in Kamerun« ist zwar rassistisch, hat aber auch keinen expliziten Schwanz-Bezug. Auch »zehn nackte N…« (vgl. Ein Fahrradlenker, ein Gaspedal) – das, wie mir eine Kollegin sagte, bei ihr noch auf Klassenfahrt gegrölt wurde – passt nicht zum Dildofon. Verschämtheit war Anfang des 20. Jahrhunderts offensichtlich noch kein Problem, aber so richtig passen tut nichts.
Dann stoße ich auf ein Lied von 1907, in dem möglicherweise das Pendant zur »negretta« vorkommt, allerdings geht es (wie bei vielen anderen Liedern) mehr um ihre »Hobelbank« als um den »Hobel« selbst:
»Schön schwarzbraunes Mädchen
du hast eine wunderschöne Hobelbank
Die Hobelbank ghört deine
das Hobeln drauf ghört meine
so hobeln’s wir die ganze Nacht
die ganze Nacht alleine« (vgl. Volksliederarchiv)
Vielleicht also besser ein anderes Lied von 1910, in dem gehobelt wird:
»Er nimmt den größten Hobel
Und schiebt ihn rein ganz nobel
In die Pumptaratata….« (vgl. Volksliederarchiv)
Oder:
»Ist das nicht die Hobelbank
ja das ist die Hobelbank
ist die nicht recht dick und lang….« (vgl. Volksliederarchiv)
Die sanftere Alternative zum Hobel sind Vögel. So gibt es von obigem Lied auch noch eine zweite Strophe:
»Schön schwarzbraunes Mädchen
du hast ein wunderschönes Vogelhaus
Das Vogelhaus ghört deine
der Vogel drin ghört meine
so vögeln’s wir die ganze Nacht
die ganze Nacht alleine«
»Vögeln kannst du, Vögeln darfst du
aber, aber fangen darfst du nichts!«
Auch die einzige Überschneidung der Kategorien »NS-Zeit« und »Erotische Lieder« im Volkliederarchiv dreht sich um Vögel:
»Die Vögelein, die Vögelein am Titicacasee,
die heben voll Begeisterung ihr Schwänzchen in die Höh.
Ach, herzgeliebtes Mägdelein, wenn ich so vor dir steh,
dann gehts mir wie den Vögelein am Titicacasee. ….« (vgl. Volksliederarchiv)
Oder vielleicht doch ein englisches Lied, weil es im italienischen Setting des Romans immer noch wahrscheinlicher ist, einen englischen Klingelton zu hören als einen deutschen? Zum Beispiel dieses 1927 veröffentlichte Lied auf der Vorlage des Shanty »Abraham Brown the Sailor«
»What’s that thing between your legs?
said the fair young maiden
It’s only me pole to stick up your hole
said Barnacle Bill the sailor« (mit Videos im Volksliederarchiv)
Unentschlossen präsentiere ich Verwandten und Freund*innen meine Funde. Es kommt der Einwand, dass kaum eines der Lieder heute noch bekannt genug sei, dass man eine Melodie dazu im Ohr hätte. Nur »Die Vögelein vom Titicacasee« werde, wie ich von meinem Bruder erfahre und dann auch bei YouTube verifizieren kann, noch heute beim Karneval gesungen.
Immer wieder grübele ich, entscheide mich um, verwerfe die Entscheidung wieder, probiere herum, bis ich letztlich doch wieder bei dem Ballermann-Song »Zwanzig Zentimeter« lande. Den hält auch der Lektor für eine gute Lösung, er hätte höchstens Vorschläge, die in eine ähnliche Richtung gehen und weitere Bildungslücken bei mir schließen (auch »Finger im Po, Mexiko« kannte ich in meiner Blase z.B. vorher noch nicht).
An all den Tagen, die ich unter anderem mit diesem Teil der Übersetzung verbringe, bin ich froh, wenn ich nur den »Pinguino innamorato« als Ohrwurm behalte und nicht etwa so etwas:
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