In der ZEIT (24/2015) ist letzte Woche ein Artikel erschienen, in dem sich 7 WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen sich Missstände an den Universitäten beklagen. Ein sich wiederholendes Thema ist dabei die Bürde des ständigen Schreibens von Anträgen, das zunehmend die eigentliche Forschungszeit auffrisst. Anträge zu schreiben ist notwendig geworden, um die eigene Arbeit zu sichern – zum einen finanziell; zum anderen aber auch, um sie zu legitimieren, indem man quantifizierbare Leistungen produziert.
Die Anforderung an Wissenschaft, „sichtbar“ zu sein, führe aber, besonders in den Geistes- und Kulturwissenschaften, nicht nur zu einer bürokratischen Belastung, die das, was sie ausweisen soll, eigentlich behindert, sondern auch zu einer qualitativen Veränderung der wissenschaftlichen Tätigkeit und ihrer Akteure, wie Barbara Zehnpfennig erklärt, die Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau lehrt:
Die immer wieder geforderte „Sichtbarkeit“ besteht etwa darin, dass man als Professor viele internationale Kontakte hat, nur noch in Netzwerken forscht, interdisziplinär arbeitet und viele Drittmittel einwirbt. Das sind Dinge, die man nach außen präsentieren kann, weil sie quantifizierbar sind.
Das Problem mit dem geisteswissenschaftlichen Tun ist ja, dass so schlecht sichtbar ist, worin es eigentlich besteht – außer im Reden und Schreiben von Texten. Wozu die Texte aber gut sind, ist auch nicht ohne Weiteres sichtbar. Und was alles getan werden muss, damit Texte überhaupt entstehen – lesen, denken, diskutieren, schreiben – ist kaum in Zahlen auszudrücken.
Insofern findet hier – folgt man der herrschenden Logik – auch keine Forschung statt. Genau dies ist eine der problematischen Folgen jenes Drucks, Sichtbares zu produzieren: das Nichtsichtbare gerät in Rechtfertigungsnot.
Beugt man sich diesem Rechtfertigungsdruck nicht und hält einfach an der tradierten Praxis geisteswissenschaftlicher Arbeit fest, lässt sich das eigene Tun vor dem Hintergrund nicht mehr legitimieren. Darum sei ein bestimmter Forschertypus, der genau das tut, was er eigentlich tun soll, in dem System nicht mehr beschäftigungs- oder berufungsfähig, wie Zehnpfennig kritisiert:
Wenn ein Bewerber für einen geistesgeschichtlichen Lehrstuhl, wie geschehen, mit dem Argument abgelehnt wird, er sei ein „Gelehrter“, läuft etwas entschieden falsch.
In der kürzlich bei meson press erschienenen Studie Library Life. Werkstätten kulturwissenschaftlichen Forschens, haben wir versucht, die Arbeit von Kultur- und Geisteswissenschaftlern sichtbar zu machen. Dabei sind wir auch zu der Vermutung gelangt, dass der Gelehrte eine aussterbende Spezies ist, jedenfalls an der Universität. Versteht man ihn als den natürlichen Bewohner des vielkritisierten, patriarchal und feudal organisierten „Elfenbeinturms“, muss man dem nicht unbedingt nachtrauern. Es betrifft aber auch den Typus „kritischer Intellektueller“, dem es gerade auf die gesellschaftliche Relevanz seiner emanzipatorisch verstandenen Tätigkeit ankommt. Auch er kann den Wert seines Tuns nur schlecht quantifizieren – und dadurch in dem System auf Dauer nur schlecht behaupten, wenn er Ansprüche auf die Quantifizierbarkeit seiner Arbeit zurückweist.
Ein anderes Problem adressiert Marcus Kracht, Professor für Theoretische Computerlinguistik und Mathematische Linguistik an der Universität Bielefeld, indem er auf die kaum problematisierten energetischen Grundlagen akademischer Forschung hinweist:
Wissen kostet Geld, aber auch Strom. Manchmal stelle ich mir vor, was passieren würde, wenn an der Universität der Strom ausfällt: Es gäbe es keine Experimente mehr, keine Literaturrecherche, keine Notenvergabe, keine Verwaltung. Das Stromnetz ist unsere Achillesferse. Doch wir forschen kaum über solche wachsenden Abhängigkeiten.
Einige dieser materiellen Abhängigkeiten der vermeintlich ganz immateriell operierenden Geistes- und Kulturwissenschaften haben wir in unserer Studie auch in den Blick genommen. Überraschende Einsichten haben wir dabei gerade bei den Dingen erlangt, die noch nicht einmal Strom, aber bestimmte Zeiten, Orte und Ordnungen brauchen, die wiederum von sehr vielen anderen Dingen abhängen, über die in der Regel nicht nachgedacht wird, wenn man über Wissenschaft spricht. Darüber aber vielleicht mehr in einem späteren Beitrag.
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