Dass die Russen ein lesebegeistertes, ja lesewütiges Volk sind, zählt ja zu den bekannten Klischees. Stundenlange Fahrten mit Bus und Bahn durch die russischen Weiten oder allein der Weg zur Arbeit aus einem der Petersburger Randbezirke, lässt sich lesend schlichtweg besser ertragen. Aber auch beim kurzen Verweilen auf einer Parkbank wird sofort ein Buch gezückt – und nicht etwa billige Massenunterhaltung – nein, nein: zeitgenössische Gedichte und Balladen werden da unter dem Schattenspiel der Bäume gelesen. Angesichts dieser hohen Wertschätzung für das gedruckte Wort, verwundert es nicht allzusehr, dass der Zugang zu den Beständen der zweitgrößten Bibliothek Russlands (Russische Nationalbibliothek) genauestens überwacht wird.
Hat man für den Aufenthalt in Russland erst einmal Visum, Migrationskarte und die obligatorische Registrierung der Unterkunft erkämpft – bzw. bezahlt -,
so ist das Ausstellen des Bibliotheksausweises dagegen ein Kinderspiel (und sogar kostenlos).
Gesichert durch einen Körpersensor, wie man ihn von Flughäfen kennt, ein elektronisches Drehkreuz und zwei Kontrolleurinnen – am Eingang in Zivil, am Ausgang in Uniform – darf man nun eintreten. „Halt, einen Moment!“ höre ich da plötzlich hinter mir – ich muss den Passierschein erst noch mitnehmen, ausfüllen und sofort bei der diensthabenden Aufsicht stempeln lassen. Aha…bin etwas verwirrt, nicke aber trotzdem bejahend und mache mich auf die Suche… (natürlich fehlte am ersten Tag der entscheidende Stempel, um das Drehkreuz passieren zu dürfen :-)
In den Texten ‚meiner‘ Autoren über die Bürgerkriegszeit spielen Pass, Visum, Geleitbrief natürlich ständig eine Rolle, da die Passierscheine zum Alltag gehörten und in manchen Fällen überlebenswichtig waren.
Wie man an all den Bescheinigungen, Formularen und Passierscheinen sieht, gehören sie zum unzerstörbaren Erbe aus sowjetischen Zeiten. Und wenngleich keine existentiellen Folgen zu erwarten sind, zieht der Verlust des Scheins in der Bibliothek zumindest unangenehme Konsequenzen nach sich. Bei einem zufälligen Blick auf den unteren Rand des Zettels ist dort zu lesen:
Der Verlust des Scheins führt zu einem einmonatigen Benutzungsverbot für die Bibliothek.
Dieses flatterige Blättchen, etwas größer als A6, könnte also dafür sorgen, dass ich zwei Wochen Zwangsurlaub in der Stadt machen müsste, sofern ein unerwarteter Luftzug den Zettel durch eines der riesigen, offenen Fenster auf die Straße wehen würde… Hmm, keine schlechte Ausrede, um nicht an der Diss arbeiten zu können, oder?
[…] komme ich nur in die russische Nationalbibliothek hinein? Oblomova berichtet im „Blogkow“, einem Gemeinschaftsblog von Doktoranden aus dem Bereich Kultur-, Geistes- […]
Vielen Dank für den schönen Beitrag aus dem fernen Russland! 2011 soll ja zum deutsch-russischen Wissenschaftsjahr erklärt werden – vielleicht wird es dann einfacher, in die Nationalbibliothek zu kommen. Und das Visaproblem soll auch entschärft werden.
Infos unter: http://www.bmbf.de/press/2909.php
war zwar nur privat in russland aber das Geäffe mit der Migrationskarte und der Anmeldung kenne ich auch,aber umgdreht sind wir auch nicht besser Verpflichtungserklärung,persönliche vorsprache in der Botschaft
Stimmt, wir sichern uns auch nicht gerade unbürokratisch vor den vermeintlich gefährlichen Besuchern aus Russland ab. Wusste gar nicht, dass man sogar zum persönlichen Gespräch gebeten werden kann?! Wie kommt man den zu dieser ‚Ehre‘?
Zu dieser Ehre kommt jeder der einen russischen Reisepass besitzt und in Russland lebt und jemanden in Deutschland besuchen will.Die persönliche Vorsprache ist Pflicht. man kann auch nicht einfach zur Botschaft gehen und sein Zeug abgeben sondern muss sich vorher über eine Hotline für 90 Rubel/min. einen Termin holen und nach 4 Wochen hat man dann die Ehre.
[…] mit Orten und Räumen der wissenschaftlichen Arbeit berichtet. Zum Beispiel darüber, wie man in die russische Nationalbibliothek hereinkommt, welche Macht das Regal und seine Einräumer auf den Prozess der Wissensproduktion haben, wie man […]