Heute (bzw. gleich gestern) ist sein neuer Roman LEIELUI (SIEUNDER) in Italien erschienen, und anlässlich der Frankfurter Buchmesse präsentierte der italienische Autor Andrea De Carlo erstmals sein Buch in einer Lesung – und zwar in Frankfurt. Eingeladen hatte das Italienische Kulturinstitut Frankfurt, ist in diesem Jahr doch die deutsche Übersetzung von De Carlos vorangegangenem Roman Als Durante kam erschienen und hatte im Frühjahr die Aschewolke den Autor von seiner geplanten Frankfurtreise abgehalten. Nun gab es dafür gleich zwei Bücher zu präsentieren, und damit auch die Leser_innen in Italien das Event miterleben konnten, wurde es per Ustream übertragen.
Weil ich frühere Romane De Carlos gerne gelesen habe, fuhr ich also nach Frankfurt. Der Abend überzeugte allerdings eher durch Theatralität, eine geradezu performative Hommage an sämtliche Klischees, als durch literarische Qualität. Da wären zunächst die Stereotype italienischer versus deutscher Organisation. ‚Nein, ich habe mich nicht in die Vormerkerliste eingetragen, ja, ich warte gerne, ob sich nach dem ersten Teil des Abends (über zwei italienische Bücher: zur Methode Merkel und den Herausforderungen Obamas) genügend Plätze leeren, dass ich trotzdem noch reinkomme.‘ Mit mir etwa fünf andere Personen, die ebenso wenig damit gerechnet hatten, dass man Plätze vorher buchen muss. Ich las mir einstweilen den Klappentext von LEIELUI durch: ein zunächst unsympathischer Italiener in einer Schaffenskrise trifft bei einem Unfall auf eine Amerikanerin, die schon länger in Italien lebt. Das Titelbild lässt auch ohne Klappentext schon darauf schließen, dass es dabei dann wohl um Liebe geht.
Weniger geduldig als ich wartete eine (deutsche) Pressefotografin, die um 20 Uhr den nächsten Termin hatte. De Carlos Kommen sei doch für 19:30 Uhr angekündigt worden. Die diversen (italienischen) Mitarbeiterinnen des Kulturinstituts verwiesen auf Kolleginnen, die schon in Telefonkontakt seien. Die Fotografin fotografierte einstweilen die Buchcover der zum Verkauf ausliegenden Romane. „Sta per venire“, sagte irgendwann eine Dame, die offenbar wirklich telefoniert hatte. Da sie der Fotografin gegenüber ihre Ankündigung, die im Italienischen zumindest grammatikalisch ein quasi vor der Tür Stehen der betreffenden Person ausdrückt, mit einem lapidaren: „Er kommt“ wiederholte, antwortete diese verzweifelt – es war mittlerweile ca. 20:20 Uhr – „Ja, aber wann?“
Kurz darauf kam er wirklich. In weiblicher Begleitung mit auffällig starkem amerikanischem Akzent, wenn sie Italienisch sprach. Zu Gesprächen war noch ausreichend Zeit, da die vorangehende Veranstaltung noch gar nicht beendet war. Als der dortige Schlussapplaus erklang, wurden alle unten Wartenden (sowohl die Vormerker_innen als auch wir Unangemeldeten) nach oben geschickt, so dass sowohl auf der Treppe als auch vor allem im Nadelöhr der Tür zum eigentlichen Veranstaltungsraum kompletter Stau und Chaos entstand. Immerhin kam ich so rein, ohne dass irgendjemand vorher kontrollieren konnte, ob die Plätze auch wirklich reichen (sie reichten), und auch ohne die angekündigten 4 Euro Eintritt zu bezahlen. Ich sah es als Ausgleich fürs Warten an. De Carlo fing erst noch mit Beppe Severgnini, einem weiteren Autor, der wohl in der vorigen Veranstaltung war, ein Gespräch an, die beiden wurden aber von der Fotografin beim Plaudern unterbrochen, die nun ein Gruppenbild mit Dame machte (Servergnini und De Carlo nahmen Paola Cioni, die Leiterin des Kulturinstituts, in die Mitte) und erleichtert verschwand.
Während der nun endlich beginnenden Veranstaltung versuchte die Italienischdozentin Paola Barbon, die den Abend moderierte und ins Deutsche übersetzte, vergeblich, den Autor dazu zu bringen, sich erneut auf seinen in Italien schon 2008 erschienen Roman Durante einzulassen. Statt ihrer Bitte nachzukommen, die Mehrdeutigkeit des Figurennamens Durante für die deutschen Leser_innen zu erklären, grüßte er das virtuelle italienische Publikum im Internet, und statt wie vorgeschlagen den Romananfang zu lesen, hatte De Carlo mehr Lust auf eine Szene irgendwo in der Mitte. Nach einem hilflosen Blick zur anwesenden Übersetzerin des Romans, Maja Pflug, blätterte Barbon schnell die deutsche Version durch. Am Ende der vom Autor gelesenen Passage hatte sie sogar die entsprechende Stelle gefunden, fragte aber, langsam resignierend, das Publikum, ob dieses die deutsche Version überhaupt noch hören wolle. Die einzige Frau, die bei einer späteren Stelle aus dem neuen Buch erst bei der deutschen Übersetzung lachte, hatte sich wohl nicht getraut „Ja“ zu sagen oder hatte auch mehr Lust auf LEIELUI. Statt also die Übersetzung vorzulesen beantwortete Barbon dann noch schnell selbst ihre zuvor gestellte Frage zur Doppeldeutigkeit des Namens Durante (es ist ein typisch ländlicher Nachname, bedeutet wörtlich aber ‚während‘, spielt also darauf an, dass diese Figur vollkommen in der Gegenwart zu leben scheint) und schlug dann vor, sich nun mit dem aktuellen Roman zu beschäftigen.
Während der ganzen Veranstaltung übrigens ein Kommen und Gehen, so dass jeweils die lauten Unterhaltungen im Voraum schwallartig durch die sich öffnende Tür eindrangen. Und das Klingeln diverser Handys, versteht sich. Nun aber weg von den italienisch-deutschen Klischees, hin zu denen über ‚sie‘ und ‚ihn‘. Schon beim Thema der zeitverschobenen Übersetzung von Durante ins Deutsche hatte De Carlo das Wunder der Literatur gepriesen, dass sie anders als Fotos nicht so schnell veraltet und dass über den Text, den eine körperlich und kulturell von ihm so verschiedene Person (die Übersetzerin) erzeugt, räumlich ferne Leser_innen doch gedanklich so nah sein können.
‚Er‘ ist im nun zunächst auf Italienisch vorliegenden Roman betrunken, unsympathisch, in der Schaffenskrise und verursacht einen Unfall. ‚Sie‘ ist eine hilfsbereite Versicherungsangestellte, die trotz seiner Unhöflichkeit und der leeren Wodkaflasche im Auto gleich das Potential in ihm erkennt. Wie verschieden Männer und Frauen doch sind! Darüber unterhalten sich die beiden Figuren dann auch später im Roman. Sie sagt, alle Frauen wurden in ihrem Leben schon von Männern enttäuscht und werden es immer und immer wieder. Er erwidert, alle Männer hassen die Frauen letztlich, weil sie so anders sind. Die Mord- und Vergewaltigungsfälle, von denen man in der Zeitung liest, sind nur Realisierungen von Gedanken, die alle Männer haben.
Wie männliche Leser denn auf dieses schonungslose Männerbild des Romanes, der abwechselnd aus ‚ihrer‘ und aus ’seiner‘ Perspektive geschrieben ist, reagiert hätten, will die Moderatorin wissen. Bisher haben das Buch nur Frauen gelesen, erwidert der Autor, im Privaten wie im Professionellen (und er lobt seine anwesende Lektorin als beidem zugehörig). Er sei auch gespannt, wie die Männer reagieren. Für ihn sei es vor allem spannend gewesen, sich die Männer mal aus weiblicher Perspektive anzuschauen: da könne schon Horror entstehen. Er habe 16 Romane gebraucht, um so doppelperspektivisch über die Liebe zu schreiben.
Nach insgesamt einer knappen Stunde Veranstaltung netto wird De Carlo schon wieder unruhig, er sei noch verabredet, könne höchstens noch zwei Publikumsfragen beantworten. Das nächste Mal komme er mit mehr Zeit, im Frühjahr. Wen wundert es, dass keine Fragen mehr kommen?
Zum Glück kommt es bei Literatur weniger darauf an, ob der Autor sympathisch ist, sondern vielmehr ob einem der Text etwas sagt. Und beim Text kommt es wiederum nicht nur auf das Was, sondern auch auf das Wie an. Und dieses Wie kann De Carlo irgendwie. Ich werde das Buch also wahrscheinlich irgendwann doch lesen, um diesem theatralischen noch ein literarisches Erlebnis hinzuzufügen. Die Zeit kann ich mir dann auch selbst einteilen – höchstens von eigenen Verabredungen unterbrochen.
[…] am Südbahnhof stattfindet. Anders als im vorigen Jahr erwartet einen jedoch gar keine Commedia all’Italiana, sondern eine pünktlich beginnende, konzentrierte und inhaltlich anregende Literaturdiskussion mit […]