„Man muss sich das Übersetzen als eine ernste Angelegenheit vorstellen.“
Ich also rein in den Bus, dann S-Bahn, schon sitz ich im LCB diesen beiden Typen gegenüber. Anzug, einer sogar mit Weste, beide blau gemusterte Hemden – haben die sich abgesprochen? Bei einem der Hals etwas länger, insgesamt ‘ne Bohnenstange. Erzählen die ganze Zeit von irgendeinem Streit im S-Bus. Bei der Pointe geht’s immer um ‘nen Knopf am Ausschnitt und irgendeinen Lackaffen. Wiederholungszwang? Oder haben die was genommen?
In jedem Fall sind Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel Wiederholungstäter, und das schon seit 34 bzw. 29 Jahren. Zum Glück für alle Leser*innen übersetzter Literatur! Nun haben sie gemeinsam eine Neuübersetzung der Queneau’schen Stilübungen vorgelegt und alle Besucher*innen der Buchprämiere am 26. Mai zudem noch mit ihrem Entertainmenttalent beglückt.
Obwohl die kurze Begebenheit, die Raymond Queneau in 120 Stilübungen immer wieder neu aufschrieb, keinerlei erzählenswerten Plot hat, kommt doch keinen Moment Langeweile auf. Im Gegenteil, lange habe ich nicht mehr so Tränen gelacht, z. B. bei der Stilvariante „Makkaronisch“ , also ein Text im sogenannten Küchenlatein („Sol erat altissimus in himmelo, caloria enormissima. Senatus populusque Parisiensis schwitzabant …“), oder bei den „Italianismen“, die Hinrich Schmidt-Henkel auch in folgendem Video performt, das der Suhrkamp-Verlag zu diesem Buch gedreht hat:
Vor realem Publikum wirkten die beiden Übersetzer noch gelöster und schienen selbst einen Heidenspaß zu haben. Auch hier betrieben sie zugleich Aufklärung: Die deutsche Erstausgabe in der Übersetzung von Ludwig Harig und Eugen Helmlé erschien zwar erst 1961, Queneau habe seine Stilübungen aber bereits im Paris der frühen 1940er-Jahre geschrieben. Sie wurden nur in Zeitschriften veröffentlicht, die der Resistance nahestanden. Den anderen Publikationsorgangen waren seine Sprachspiele offensichtlich zu subversiv.
Es sei ein zutiefst antitotalitärer Text, weil eine Regel zwar jeweils konsequent umgesetzt werde, auf der nächsten Seite aber bereits eine andere gelte. So werden Regeln als überwindbar dargestellt. Außerdem führe Queneau Regeln „durch fröhliche Übererfüllung ad absurdum“, wie die beiden auch in ihrem Nachwort schreiben. Zugleich handele es sich auch bei ulkig bis unverständlich klingenden Textvarianten nicht um einen bloßen „Hirnfurz“, sondern Queneau habe bestehende sprachliche Phänomene umgesetzt bzw. der Nonsense folge bestimmten Regeln, z.B. mathematischen.
Die Neuübersetzung trifft bei manchen Texten nicht nur stärker unsere heutige Wortwahl und drückt gut die jeweils hinter dem Text stehende Haltung aus (die manchmal auch im Titel steht, z.B. „Reaktionär“). Sie enthält zudem bisher nicht übersetzte weitere Stilübungen von Queneau sowie eine vom französischen Autor angelegte Liste möglicher Stilübungen, von denen die Übersetzer zwölf selbst umgesetzt haben. Darüber hinaus gibt es noch eine weitere, nämlich „Überdeutsch“, die sie gänzlich selbst hinzugefügt haben, um – inspiriert durch Umberto Ecos Entscheidung, in seiner italienischen Übersetzung die „Italianismen“ durch „Gallizismen“ zu ersetzen – zu zeigen, dass es sehr wohl möglich ist, „eine Sprache durch sich selbst zu verfremden“, wie die beiden in ihren ausführlichen Anmerkungen offenlegen.
Auch vor den Queneau’schen Stilübungen mit den beiden Vergangenheitsformen passé simple und imparfait, für die das Deutsche keine Entsprechungen in der Verbform hat, drücken sie sich nicht. Vielmehr stellen die Stilübungen „Vergangene Handlungen“ und „Vergangene Situationen“ heraus, worin der Unterschied liegt: im Aspekt, und wie wir diesen im Deutschen mit anderen Mitteln ausdrücken: z.B. durch die Wahl bestimmter Verben oder durch den Zusatz von Adverbien wie „dauernd“, „ausführlich“, „immer“.
Dennoch lohnt auch weiterhin die Lektüre der Erstübersetzung von 1961. Nicht nur, weil – wie Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel es ausdrückten – sie heute nur deshalb anders übersetzen können, „weil wir auf den Schultern dieser Pioniere stehen“. Häufig zeigt auch die parallele Lektüre der beiden Übersetzungen, dass sich selbst ein und dieselbe Regel sehr unterschiedlich befolgen lässt und mehr Freiraum gewährt, als man zunächst denken könnte. Außerdem macht der Variantenreichtum einfach Freude. Als kleines Beispiel hier nur der jeweilige Anfang einer der vielen Stilübungen:
„Homöoteleuton
Der wohlbestallte Autobus stand an der Halte. Ein junger Balte krawallte, denn der Alte prallte an seine gebügelte Falte. Es hallte und schallte, bis daß es knallte.“ (Harig/Helmlé)„Homoioteleuton
Der Tag ist trist, ich frist ihn fast wie ein Tourist in einer öffentlichen Rappelkist. Da ist ein Langhals-Egoist, mit Hutband aus Batist, recht angepisst, ein anderer nämlich, Terrorist!, trample ihm ständig auf den Rist.“ (Heibert/Schmidt-Henkel)
Auch amüsant ist der Text „Verschiebung“, der aus einer Abzählübung mit Überraschungseffekt entstand. Das Spielprinzip ist „S+n“, das heißt „jedes Substantiv eines Textes […] wird durch dasjenige ersetzt, das ‚n‘ Substantive weiter in einem beliebigen Wörterbuch steht“. So bekommen auch an sich banale Texte plötzlich eine interessantere Note. Hier als Beispiel zum Abschluss kein Zitat aus dem Buch, sondern den Einleitungsabsatz dieses Blogtextes als „S+7“ (nach Duden Deutsches Universal Wörterbuch, 3., neu bearbeitete Auflage 1996, mit einer Übererfüllung der Regel):
Ich also rein in den Buschklepper, dann Scampi, schon sitz ich im SJI diesen beiden Typenrädern gegenüber. AOK, einer sogar mit Western, beide blau gemusterte Hemdenkragen – haben die sich abgesprungen? Bei einem das Halseisen etwas länger, insgesamt ‘n Bohrhammer. Erzählen die ganze Zeitaufnahme von irgendeinem Streitgedicht im Z-Buschklepper. Beim Pokal geht’s immer um ‘ne Knopflochschere am Ausschussmitglied und irgendeine Lackierwerkstatt. Wiederholungszeichenzwangsaufenthalt? Oder haben die was genommen?
Wer’s rausfinden will: Am besten selber lesen!
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