Eine grandiose Idee – wenn auch, wie ich zugeben muss, nicht meine, sondern einem unbescholtenen Kollegen beim Mensagespräch entlockt und dann weitergesponnen:
Wie wäre es, statt über so etwas wie sagen wir mal Räumlichkeit in der Literatur zu promovieren, eine Dissertation über das Regal als konkrete Räumlichkeit und deren Einfluss auf die (literatur)wissenschaftliche Praxis zu schreiben? Kann es nicht sein, dass gewisse Untersuchungsgegenstände nur durch ihre Kontingenz im Regal, sagen wir mal die räumliche Nähe der Buchstaben I und G in einem Regal mit sogenannter Weltliteratur, überhaupt gemeinsam in den Blick geraten? Welche Macht haben die Einräumer_innen von Bibliotheksregalen über den Prozess der Wissensproduktion? Haben historisch unterschiedliche Regalkonstruktionen und Regalsysteme zu unterschiedlichen Konstruktionen von Wissensobjekten geführt, die sich evtl. gar in einer Typologie der Topologie beschreiben lassen?
Um der Verknüpfung von Wissenschaft mit Kultur willen ließe sich als Motto, Inspiration und Vorläufermodell auf das einschlägige Lied „Regale“ von
verweisen:[…] Es gibt Amerikaregale, Berlinregale, Nahostregale, Anarchistenregale, Atomregale, Karl Marx- Regale, Kulturregale, Jesus Christen-Regale, Erziehungsregale und Heimatregale, Fernsehregale u. Sexregale, Arbeitsregale, Urlaubsregale, ästhetische Regale und Drecksregale, Regale für Herren, Regale für Damen, Regale für Schlafen und Fressen, Regale für Alt, Regale für Jung, Regale für schnelles Vergessen. Dann gibt es Regale für andre Regale, für Asoziale gleich mehrere Male, für Bilaterale und Horizontale und Diagonale und Katastrophale. Und apropos katastrophal: Es gibt auch ein Regal für Moral. […] Regale für das Leben und für die Todesart nach Wahl, Regale auch fürs Leben nach dem Tod, gibt’s keins, gibt’s ein Regal.
Klar wird hier also: „Das ganze Leben spielt sich auf Regalen ab.“ Und so die Moral frei nach Kreisler :
Ich kannte ‘nen Professor, der stand in einem Saal, mit Titeln und Professur, zufrieden am Regal, doch was ihm das gebracht hat, kann man an einem sehen: Der Professor ist gestorben, das Regal blieb stehn … für Euch.
Herzlichen Glückwunsch zu unserem ersten Heureka!-Beitrag! ^^
Der Gedanke kommt mir sofort plausibel vor. Und ich möchte sagen, wenn nicht die Hälfte, so doch ein Drittel der gesamten Textproduktionen in meinem Magisterstudium verdankt sich der Regensburger Sytematik.
Und besonders wichtig für meine Magisterarbeit selbst wurde – aus unerfindlichen Gründen – das Regal für Neuerwerbungen der Unibibliothek. Das war zwar nicht besonders vorteilhaft für den Abgabetermin, aber dafür ein Quell beständiger Inspiration…
So gesehen haben ziemlich viele Bibliothekare an meiner Arbeit mitgeschrieben. Ich hätte Ihnen in Vorwort dafür eigentlich danken müssen…
Was bei dieser hochspannenden Arbeit noch zu berücksichtigen wäre, sind all die verhinderten Hausarbeiten, Masterarbeiten und Dissertationen, die der Unzugänglichkeit all jener Bibliotheken und Magazinen geschuldet sind, bei denen man Bücher lediglich an der Ausleihe ausgehändigt bekommt!
Außerdem konnte es bei langen Wartezeiten vor dem Rückgabeschalter durchaus interessant sein, den Wagen mit den zurückgegebenen Büchern zu begutachten.
Eher ein Anschlag auf die Ausdauer des Betrachters als ein interessanter Einblick in das Reich der Magazinregale ist der studentische Beitrag, den die Bayerische Stabi auf ihrer Homepage unter dem Titel „Rückseiten“ (bekomme das mit einem link hier leider gerade nicht hin – deshalb: http://www.bsb-muenchen.de/Rueckseiten.2436.0.html) präsentiert…
Und es gibt natürlich auch den Fall, dass bestimmte Regalsysteme das Auffinden von Büchern erschweren, wenn nicht verhindern. So geschah es etwa der Heidegger Gesamtausgabe in unserer Bibliothek, dass ihre Buchrückenbeschriftung der Signaturetikettierung gnadenlos weichen – sprich: überklebt werden – musste, so dass man von den bald 100 Bänden entweder jeden einzelnen herausziehen musste, um den Titel vom Buchdeckel abzulesen oder aber das OPAC zu konsultieren hatte, um dort die genaue Zuordnung des Namens zur Signatur herauszufinden, die überall auf denselben draufgeklebt war…
Wo wir gerade bei den Zugänglich- und vor allem Unzulänglichkeiten von Regalen sind, dürfen die architektonischen Grundvoraussetzungen nicht außer Acht gelassen werden. Denn gerade der Grundriss einer Bibliothek – diese Geniestreiche von offenbar Nicht-Geistesmenschen, die sich Architekten nennen dürfen – können das erste Knock-Out Kriterium sein. Die Gießener Universitätsbibliothek zeichnet sich z.B. durch eine ganz eigene Art der Transparenz aus. So war es mir unmöglich aufgrund der aushängenden Hinweistafeln, der Regalnummern oder auch verzweifelter Blicke in den OPAC zwei, drei ganz bestimmte Regale zu finden. Von den sich darin befindlichen Büchern ganz zu schweigen. Aus lauter Frust habe ich weitere Such- und Findeaktionen vertagt.
Glücklicherweise trieb mich mein Wissensdurst ein wenig später in die Zweigbibliothek im Phil II. Auf dem Rückweg von dort, die abendliche Dunkelheit hat mittlerweile Einzug gehalten, konnte ich durch die Fenster der Hauptbibliothek meine gesuchten Regale erspähen. Jetzt konnte ich nur noch an meinem eigenen Verstand und Abstraktionsvermögen scheitern: Wie finde ich jenen Ort im Innen, den ich zuvor im Außen gesehen habe.
Ich habe mich sofort in Deinem Beitrag angesprochen gefühlt, denn ich habe mich ja mit meiner Typologie zur Topologie erkenntlich gezeigt.
Die Replik mache ich gerne, denn über das Verb „Einräumen“ kann man sogar auch philosophieren, und selbst Heidegger hat darüber einen verständlichen Beitrag geschreiben. Er hat nur eher über Skulpturen als über Regale in seiner sehr kurzen, leicht zu lesenden Schrift „Die Kunst und der Raum“ reflektiert. Das Regal fehlt leider…Man könnte wirklich mal einen Sammelband daraus machen, das finde ich schöner und spannender, als darüber eine Monographie (Doktorarbeit) zu schreiben.
Doch die Literatur scheint mir mehr zu sein als ein Regal; ich möchte mir anschauen, wie es literarische Texte schaffen, neue Räumlichkeiten zu kreieren, die dann viel mehr Bedeutung aufsaugen können als in Regalen (nicht-) vorgefundene Bücher.
Was ich herausfinde, ist sicher auch konkret, nur nicht in der Realität auffindbar, doch konstruierbar.
In das Hoch auf die Literatur stimme ich gerne ein, sie ist wahrlich mehr als ein Regal! Dennoch wird sie die Regale nicht so ganz los, da wir sie in der Regel in ihrem Regalzusammenhang wahrnehmen, sie aus Regalen entnehmen und vielleicht mit unseren Analysen in andere Regale einsortieren. In gewissem Sinne sind Literaturwissenschaftler_innen auch immer irgendwie ‚Einräumer_innen‘. Insofern fördert die Regalperspektive evtl. den selbstreflexiven Zugang zur Analyse von Räumlichkeit in der Literatur.
Die Idee mit dem Sammelband über Regale ist ausgezeichnet, da sich in der Semantisierung der Form der Gegenstand quasi spiegelt. Dann werde ich also langfristig mal die Verlagsvorschauen nach einem Regalsammelband hrsg. v. Edelkom durchsehen.
Ich hätte sogar schon einen Vorschlag für den Titel: „Regalitäre Wissenräume“…
Einen – zugegebenermaßen- etwas ungewöhnlichen, aber durchaus praktischen ‚Wissensraum‘ gilt es beim österreichischen Monarchen, Kaiser Robert Heinrich I. zu entdecken… http://www.youtube.com/watch?v=C6ZbOODyz2I
Das Regal in der Wissenschaft – Wissensräume…
Auf Blogkow werden gerade interessante Überlegungen ventiliert, auf die uns Joachim Eberhardt aufmerksam machte (Danke!), wie z.B.: Welche Macht haben die Einräumer_innen von Bibliotheksregalen über den Prozess der Wissensproduktion? Der akademische D….
[…] hier nicht forschen kann, hat keine Ausrede – außer vielleicht, von diesen altehrwürdigen Regalen abgelenkt zu werden und dabei zu tief in die abgesessenen Polstermöbel […]
[…] Zum Beispiel darüber, wie man in die russische Nationalbibliothek hereinkommt, welche Macht das Regal und seine Einräumer auf den Prozess der Wissensproduktion haben, wie man sich auf Archivreise (k)eine Unterkunft […]
Noch ein Song zum Thema: „Me, my shelf and I“