Gestern hat Sascha Lobo in seiner S.P.O.N.-Kolumne über metaphorische Simplifizierungen der digitalen Welt geschrieben. Dabei warnt er vor der Verführungskraft der Sprache. Was in Wirklichkeit komplex und kompliziert sei, werde durch Metaphern vereinfacht und schließlich falsch verstanden, vor allem das Internet:
Metaphern funktionieren nur als Welterklärung für Anfänger. Insbesondere für das überkomplexe Internet. […] Die Einstiegsdroge Metapher verleitet zum simplizistischen Weltbild und dazu, Zusammenhänge zu konstruieren, die nur für die Metapher, aber nicht in der Realität funktionieren.
Zwar beginnt Lobo seine Überlegungen damit, dass das Internet und vermutlich jedes Medium, wie alle technologischen Innovationen zunächst immer nur metaphorisch begriffen werden, weil es für das Neue nicht sofort geeignete Begriffe gebe. So wurde der Diskurs über das Internet in den 1990ern durch nautische und verkehrstechnische Metaphern geprägt. Aus den metaphorischen Fossilien dieser Zeit generiert sich denn auch der Titel von Lobos Artikel: „Wenn Surfer auf der Datenautobahn brausen.“
Zugangserschwerungsmetapher
Doch befasst sich Lobos nicht mit die Frage, ob nun Datenmeer oder Datenautobahn die bessere Metapher oder beide gleichermaßen für die Bezeichnung des Internets ungeeignet seien. Seine Kritik zielt vielmehr auf eine politische motivierte Medienmetaphorik – für die er, pars pro toto, „das berüchtigte Stoppschild als volksnahe Bezeichnung für Ursula von der Leyens Netzsperren“ ins Feld führt. Dabei fragt sich, ob gerade dieses Beispiel gut gewählt ist. Denn das besagte Stoppschild sollte ja nach dem geplanten „Zugangserschwerungsgesetz“ beim Aufruf gesperrter Webseiten mit kinderpornografischem Inhalt auf dem Bildschirm des kriminellen oder fehlgeleiteten Internetnutzers angezeigt werden. Wenn dieser aber ein Stoppschild tatsächlich sieht, ist es dann überhaupt noch eine Metapher? Oder nicht einfach nur ein Symbol, ein ikonisches Zeichen, dass allenfalls etwas Falsches suggeriert? Oder ist das nur eine kleinliche Frage, die zur Sache nichts wesentliches beiträgt?
Um zu erklären, worin das eigentliche Problem liegt, zitiert Lobo den Hamburger Sprachwissenschaftler und Blogger Anatol Stefanowitsch, der die Gefahr der Metapher im gedanklichen Transfer sieht: „Wir übertragen mit diesen Wörtern auch die Logik der betreffenden Erfahrungsbereiche auf das Internet.“ Und dadurch könnten eben falsche Zusammenhänge herstellt werden, die zwar in der Metapher, aber „nicht in der Realität funktionieren“. Was also könnte der falsche metaphorische Zusammenhang sein, den das Stoppschild herstellt? Dass die Reise hier nicht weiter geht? Oder dass man vor der Weiterfahrt zunächst an der Haltelinie stoppen, nach links und rechts sehen, und dann erst weiterfahren soll?
Die Kritik an dem Zugangserschwerungsgesetz war es schließlich gewesen, dass es den Zugang zu den kriminellen Inhalten nicht verhindere, sondern eben nur erschwere. Die Internetsperre wäre de facto leicht zu umgehen gewesen. Das Stoppschild würde Kriminelle oder Fehlgeleitete nur vorübergehend gestoppt und dazu angehalten haben, nach links und rechts zu sehen, bevor sie hätten ungehindert weiter(fort)fahren können. In diesem Sinne hätte das Symbol – gerade auch entgegen der damit verbundenen Intention – noch nicht einmal etwas Falsches, sondern genau das suggeriert, was es tatsächlich leistet. Auch wenn man also einräumen würde, dass das Verkehrszeichen hier eine Metapher ist, dann liegt das eigentliche Problem offensichtlich nicht auf Ebene der metaphorischen Aussage. Worin aber liegt dann das Problem?
Verschobene Kontroversen
Letztlich zielt Lobos Kritik auf: „Die Verbindung zwischen Metapher und Politik in der digitalen Sphäre […]: Wer wollte im Straßenverkehr die Notwendigkeit eines Stoppschilds anzweifeln? Warum sollte im Internet ein Stoppschild dann etwas Schlechtes sein?“ Hinter dem unproblematischen Verkehrssymbol verbarg sich indessen ein größeres Problem, nämlich die dafür notwendige Einführung von Sperrlisten, von denen die Kritiker des gescheiterten Gesetzes befürchteten, sie würden letztlich der Durchsetzung weit umfassenderer Zensurmaßnahmen Vorschub leisten. Auf diese Weise kam die damalige Familienministerin zu ihrem Spitznamen „Zensursula„.
Wortspiele mit Eigennamen werden ja immer wieder gern als Argumentationen ad personam eingesetzt. In diesem Fall verschob sich damit auch der Sinn des Symbols in der Kontroverse. Das Stoppschild stand nun nicht mehr nur für die Indizierung kinder-pornographischer Webseiten, sondern für seine Gegner auch für die befürchtete Zensur des Internets im Ganzen. Lobos Beispiel bezieht sich damit nicht auf eine Metapher für das Internet, sondern auf die Funktion eines Symbols in einer symbolpolitischen Debatte und ihrer Skandalisierung, an der das problematische Gesetz letztlich auch gescheitert ist. Lassen sich aus diesem Fall nun allgemeine Schlussfolgerung über den Gebrauch von Internetmetaphern ziehen?
Lobo resümiert:
Das Netz selbst ist eine Verbreitungsmaschine, die dem Einfachen, Naheliegenden, geschmeidig Funktionierenden den Vorzug gibt. Das gilt im Prinzip für alle Medien, weshalb die Metapher, das Symbol der Einfachheit in der Erklärung, so erfolgreich ist. Nachdem sie aber sinnvollerweise den Zugang zur Materie erleichtert hat, verändert sich die Funktion der Metapher – und überträgt die angenehme, leicht konsumierbare Vereinfachung fatalerweise auch auf das Denken. Metaphern für die Internet-Erklärung taugen nur, wenn sie vorsichtig und im vollen Bewusstsein ihrer Unzulänglichkeit eingesetzt werden. Denn Metaphern sind das Methadon des Nachdenkens über Technologie. Dieser Vergleich ist zwar völlig verbogen und irreführend, aber genau das ist ja das Problem.
tl;dr [Akronym für „too long; didn’t read.“, Anm. d. Verf.]
Obwohl Metaphern sinnvoll sind, um Neues greifbarer zu machen, ist es gefährlich und falsch, sie als Denkmodell zu benutzen.
tl;dr / t.b.c. : Medienmetaphorik
In ihrem 2009 erschienen Buch über die „Metapher Internet“ vertreten die Medien- und Literaturwissenschaftler Matthias Bickenbach und Harun Maye die These: „Ohne Metaphern keine Kommunikation über Medien“. Dieser These zufolge ist es prinzipiell nicht möglich, unmetaphorisch über Medien zu sprechen. Sie beziehen sich dabei unter anderem auf Hans Blumenbergs Metaphorologie, um ihre Behauptung zu begründen, dass die nautische Navigation die „absolute“ und das heißt also unvermeidliche und unhintergehbare Metaphorik des Internets sei. Mit anderen Worten: Sie sei das fundamentale Denkmodell, in dem das Medium als „flüssiges“ begriffen werden muss. Ob dem so ist, lässt sich durchaus bezweifeln. Die Verabsolutierung und damit die Ontologisierung einer Metapher ist sicherlich nicht der richtige Weg, das „Wesen“ eines Mediums zu fassen.
Nichtsdestotrotz bleibt die begründete Frage im Raum, ob man unmetaphorisch über das Medium und in dem Fall über das Internet sprechen kann. Allein sein Name ist ja bereits eine Metapher, die das „Netz der Netze“ als Zwischennetz beschreibt. Der Sinn dieser Metapher hat seinen technikgeschichtlichen Hintergrund in der Entwicklung des TCP-Protokolls, mit dem bislang getrennte Computernetzwerke mit dem Vorläufer des Internet, dem ARPANET verbunden werden konnten. Eine solche wesentlich infrastrukturelle Metapher ist auch die Datenautobahn bzw. der Information Superhighway, die vor allem von Al Gore popularisiert wurde, um die Transformation des Internets in ein öffentliches Medium und seine Kommerzialierung voranzutreiben.
Die Metapher des Surfens wiederum bezieht sich – wie auch der Cyberspace – gar nicht auf die technologische Infrastruktur, sondern auf die subjektive Erfahrung des Umgangs mit dem neuen Medium. (Lobo verweist auch auf das wahrscheinlich hierfür namengebende Dokument.) Die spätere Popularisierung der nautischen Metaphorik (Internet Explorer, Netscape Navigator, etc.) verdankt sich wiederum einer Instrumentalisierung des subjektiven Entdeckergefühls, in den unendlichen Weiten des Datenozeans unterwegs zu sein, für die ökonomischen Interessen der aufstrebenden Internetfirmen an der Kolonisierung des digitalen Neulands.
Wie man sieht, fokussiert jede dieser Metaphern einen bestimmen Aspekt des Mediums, seine technologische, ökonomische oder erfahrungsbezogene Ebene. Keine dieser Metaphern erfasst es damit richtig oder falsch oder gar vollständig, sondern stets nur in einer gewissen Hinsicht. Wäre der Verzicht auf Metaphern also die Bedingung für eine angemessene Beschreibung des Mediums?
Das Netz ruft
Lobo selbst legt nahe, dass Metaphern uns zwar zunächst helfen, das Neue in den Blick zu bekommen und zur Sprache zu bringen, dass man letztendlich aber eine metaphernfreie Sprache finden muss, um sinnvoll und unideologisch über das Medium sprechen zu können. Dass er dabei selbst nicht ohne Metaphern auskommt – etwa wenn er sagt, dass „Das Netz […] eine Verbreitungsmaschine“ sei – gibt er zwar am Ende selbstironisch zu. Doch wie verhält sich die lakonische Konzession seines eigenen „verbogenen und irreführenden“ Vergleichs dabei zu dem Umstand, dass schon „Das Netz“ eine Metapher – genauer gesagt: eine Katachrese – ist, die hier als ein unhinterfragtes Denkmodell fungiert?
Wird man also je unmetaphorisch über das Internet sprechen können? Und wenn nicht, wie wird man „irreführende“ von „angemessenen“ Metaphern unterscheiden können? Es könnte sein, dass diese Frage, so allgemein gestellt, vergeblich ist. Denn das Internet wird uns immer weniger als ein objektiver Gegenstand zugänglich sein. Als ein ständig wachsender Teil des Lebens der modernen bzw. nachmodernen („nächsten„) Gesellschaft wird es mehr und mehr das umstrittene Terrain politischer Kämpfe werden, dessen Ausdruck oder Symptom ja nicht zuletzt auch das Aufstreben der Piratenpartei ist. Und Metaphern werden notwendig Teil dieser Kämpfe sein – sowohl auf seiten der „Anfänger“ als auch auf Seiten der „digitalen Elite“.
Eine sinnvolle medienmetaphorologische Perspektive wird sich von der klassischen Unterscheidung rhetorisch/objektiv verabschieden müssen. Eine Kritik der Sprache und auch ihrer Metaphern wird damit nicht hinfällig, im Gegenteil. Doch reicht es für eine angemessene Kritik nicht mehr aus, Metaphern als defizitäre Vorstufen des begrifflichen Denkens zu verstehen, die sich früher oder später als Ausdruck eines falschen Bewusstseins erweisen. Sprache ist immer eine Reduktion der Wirklichkeit. Aber gerade gute Metaphern sind mehr als nur Vereinfachungen oder Verfälschungen der Realität. Wer das behauptet, diskreditiert jede Poesie – auch die des Realen. Solange es sich um wesentlich technische Zusammenhänge handelt, wie etwa bei den Netzsperren, wird eine begriffliche Auseinandersetzung immer möglich und auch nötig sein. Was aber die Erfahrung des Mediums und seine gesellschaftliche Bedeutung anbelangt, wird die Vernunft immer mehr verlangen, als der Begriff zu leisten vermag.
Die kulturelle Selbstüberforderung durch das „überkomplexe“ Medium ruft immerzu nach neuen Metaphern! – Diese beim Wort zu nehmen droht ebenso ein „simplizistisches Weltbild“ zu begründen, wie der Glauben, im Namen der Realität auf sie verzichten zu können.
Einwände, Kritik oder Anmerkungen sind natürlich, wie immer, jederzeit willkommen.
Grad kann ich nur die simple Anmerkung bieten, dass ich mich bei „Zusammenhänge zu konstruieren, die nur für die Metapher funktionieren“ literarisch ertappt fühlte. Die daraus resultierende Beschämtheit macht mir eine Beschäftigung mit dem darunter folgenden eigentlichen Problem unmöglich. Es geht hier doch gar nicht um naive Blogger, die schlecht durchdachte, aber irgendwie sprachlich adrette Beiträge ins Netz blasen ? (ah, ein Sprach-Bild!)
Natürlich gibt es bessere und schlechtere, schiefe und gelungene Metaphern. Was Lobos Artikel anbelangt, so geht es in ihm um naive oder (bewusst) irreführende Metaphern in den (politischen) Diskussionen über das Internet. Ich meine aber, dass nicht jeder Zusammenhang, den eine Metapher herstellt, an der Wirklichkeit scheitern muss. Und gerade in Bezug auf das Internet glaube ich, dass es hier gar keinen metaphernfreien Diskurs geben kann. In gewisser Weise kann man das (paradoxe) Problem auch mit einem Jack-Nickolson-Zitat paraphrasieren: „Leute, die in Metaphern sprechen, können mir den Schritt shampoonieren.“ Statt (sich) also Metaphern zu verbieten, sollte man ihren Sinn einfach genauer bedenken.
sehr schön. auch hier lässt sich doch wieder mit baecker argumentieren: überschusssinn wäre nicht überschüssig, wenn wir das phänomen bereits in worte packen könnten. wir müssen neues ja irgendwie mit bestehender semantik zu beschreiben versuchen, ansonsten würden wir neuartiges nie zu verstehen beginnen. zudem verändern sich denotationen mit der zeit durch veränderte benutzung. beispiel „netzt“: früher war das wort doch klar denotiert mit dingen wie fischernetz, spinnennetz und derartigem. anfänglich als metapher für das internet in den umlauf gebracht, hat sich die denotation des wortes „netz“ allmählich verändert. wer denkt heute noch primär an ein fischernetz, wenn vom „netz“ die rede ist.
ich würde lobo also widersprechen und auf die flexibilität und erweiterbarkeit (wortkompositionen) der sprache hinweisen.