Eine programmatische Antrittsvorlesung über feministische und andere „Political Dimensions in Cultural Studies“ rief mir kürzlich eine nun schon etwas zurückliegende Episode aus der Academia wieder ins Gedächtnis. Nun, da sich die Wogen geglättet haben dürften, begebe ich mich also gedanklich zurück in diese so unvermutet leicht aufzuwühlenden Gewässer.
Es begab sich aber, dass auf einer ausdrücklich mit Genderfokus versehenen Tagung ein Vortrag mit dem vielversprechenden Titel „Vul(v)arismen“ gehalten wurde. Vielversprechend, weil er mich etwa an die Lektüre von Mithu M. Sanyals kulturgeschichtlicher Studie Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts erinnerte, die ein Genuss für Lesende jeden Geschlechts ist. Materialreich, überzeugend und humorvoll geschrieben zeigt Sanyal auf, dass es beim weiblichen Genitale durchaus mehr zu sehen gab und gibt als ein bloßes Loch/Nichts (Lacan), und schlägt Vulva als wertschätzende Bezeichnung und Sichtbarmachung vor.
Sofort aber stellte sich heraus, dass wohl allein eine gewisse Scheu, das F-Wort zu früh preiszugeben, zu diesem Vortragstitel geführt hatte. Während das Vulgäre selbst in Form des ‚g‘ aus dem Obertitel „Vul(v)arismen“ verbannt worden war, drehte sich der linguistische Vortrag dann um einen einzigen Vulgarismus, nämlich um das Wort Fotze. Dieser kleine Etikettenschwindel wäre an sich nicht der Rede wert, spiegelte sich darin nicht das methodische Hauptproblem der Ausführungen: Mit Fragebogenaussagen seiner Gießener Germanistikstudierenden zu ihren Verwendungsweisen des Wortes ‚Fotze‘ untermauerte der Referent seine These, dass Gudrun Ensslin in ihren (nicht-öffentlichen, RAF-internen) Texten mit dem Wort „votze“ allein die konnotativ pejorative ohne die denotative Bedeutung realisiere.
Wen wunderte es also, dass die anschließende Diskussion die historische und nach sozio-kulturellen Kontexten veränderbare Verwendung von Begriffen zu bedenken gab. Neben der pejorativen Konnotation seien auch Aspekte der Faszination und Macht des Wortes für die Analyse in diesem speziellen Kontext sicher fruchtbar. Nur, um diesbezüglich einen freundlichen Literaturhinweis auf Mithu M. Sanyals Vulva-Buch zu geben, ging mein Arm nach oben.
Und dann die unvermutete Explosion des Referenten, der sich offensichtlich von so einer dahergelaufenen Person aus den hinteren Reihen nichts sagen lassen wollte. Und gleich nach dieser Fontäne schwappten von allen Seiten wiederum die Wellen über den Referenten. Das Stammeln und Schwitzen des Sektionsleiters beim Ansagen des Vortrags hätte mich vorwarnen können. Dennoch war ich verwundert, wie vor meinen Augen geradezu performativ die aufrührerische Macht des V-Wortes bestätigt wurde. (Interessant ist hier die vom Referenten übergangene Tatsache, dass Ensslin „votze“ mit ‚v‘ schreibt.)
Um eine gänzliche Überschwemmung zu vermeiden, rief der Sektionsleiter die Kaffeepause aus. Meine Verwirrung wich innerem Schmunzeln, als ein Kollege aus dem Wissenschaftsbetrieb, der sich sonst mit einem freundlichen Kopfnicken begnügt, mich zur Begrüßung in den Arm nahm, um die Situation buchstäblich wieder ‚in den Griff‘ zu bekommen. Und dann noch eine Frotzelei als beliebte Strategie männlicher Rezentrierung auf nicht-sachlicher Ebene: „Kann ich dich also ab jetzt Fotze nennen?“ – „Klar, Schlappschwanz, wenn Du es wertschätzend meinst.“
Okay, den Schlappschwanz habe ich jetzt hinzugedichtet. Aber wie wäre es, wenn nicht nur eine feministische, sexpositive Aneignung des Wortes Fotze erfolgte, sondern auch Schlappschwanz emanzipatorisch aufgefasst würde: Auch wenn mann mal nicht hart und allzeit leistungsfähig ist, kann mann wertgeschätzt werden. Andere gesellschaftlich der Kategorie Mann zugeordnete Menschen sahen es jedenfalls gelassener und gaben mir abends einen Slibowitz aus, weil ich – wenn auch unbeabsichtigt – so ein amüsantes gender trouble-Spektakel ausgelöst hatte.
vucking brilliant
Touché!
Vielen Dank für diese unterhaltsamen Leseminuten.
Ganz klar: Was New York der Vagina Monologue, ist Gießen der Fotzendialog.