Die Apokalypse wird nicht stattfinden, weil sie immer schon statthat. Seitdem bekannt geworden ist, dass am heutigen Tag des Weltuntergangs als einziger Ort auf der Erde das südfranzösische Bugarach am Rande der Pyrenäen verschont bleiben soll, und dass dort Außerirdische landen und auserwählte Menschen retten werden, ist das 200-Seelen-Dorf ein globales Medienphänomen. Heute tummeln sich dort aber keine Aliens, sondern vor allem internationale Fernsehteams, die sich gegenseitig filmen und darüber Bericht erstatten, wie über die Berichterstattung der Berichterstattung Bericht erstattet wird.Die Wort Apokalpsis kommt aus dem Griechischen und leitet sich ab von apo (ab, weg, von-weg) und kalypsein (verhüllen, verbergen, bedecken). Es heißt also: enthüllen, aufdecken, entblößen, im Partizip Perfekt Passiv entblößt, schamlos sein und übertragen dann erst offenbaren, kundtun. Apokalypsis ist also die Enthüllung, die Aufdeckung, die Offenbarung. Jacques Derrida hat in seinen Überlegungen zur Apokalypse (Passagen Verlag 1997/2012) darauf hingewiesen, dass die Aufklärung selbst ein apokalyptisches Projekt ist, weil ihr es darum geht, alle Schleier wegzureißen, alles zu entdecken, aufzudecken und zu enthüllen, keine Geheimnisse mehr zu dulden, nichts Verborgenes mehr übrigzulassen.
Tatsächlich entspricht ein solcher Zustand dem, was man als die Konvergenz der Idee des Überwachungsstaates und der sogenannten Post-Privacy-Gesellschaft nennen könnte, in der nicht nur nichts mehr versteckt werden kann, sondern auch gar nichts mehr versteckt und verborgen werden soll. Absolute Transparenz und Öffentlichkeit ist das Ergebnis einer Apokalypse, einer medialen Apokalypse. Der Philosoph und Transparenz-Theoretiker Byung-Chul Han erklärte neulich im Süddeutsche Zeitung Magazin, dass die Transparenzgesellschaft von uns verlange, alles nach außen zu kehren, zu enthüllen, zu entkleiden und zu exponieren: „Wir steuern auf eine Katastrophe zu“. Die Apokalypse wird aber nie stattfinden, weil sie immer schon statthat.
Wenn nun an dem vermeintlich vor ihr verschont bleibenden Ort das Nicht-Stattfinden der immer schon statthabenden Apokalypse enthüllt wird, dann ist die Enthüllung der scham- und schonungslosen Selbstexponierung der Ereignislosigkeit die Apokalypse der Apokalypse. Das nicht stattfindende Ereignis ist das eigentliche Ereignis der Aufklärung. Man klärt sich gegenseitig darüber auf, wie man sich darüber aufzuklären versucht, dass es nichts mehr aufzuklären gibt – außer die Aufklärung selbst.
Auf Differentia entwickelt Klaus Kusanowsky weiterführende Gedanken zur Apokalyptik moderner Medien: http://differentia.wordpress.com/2012/12/21/datenschutz-und-datenklau-eine-kleine-apokalyptik-str0mgeist/
Mich treibt die Frage nach der Post-Apokalypse um: Was passiert, wenn z.B. der Philosophie es gelingt, ihren letzten Grund, d.h. sich selbst als das, was sie voraussetzen muss, noch vollständig einzuholen.
Vielleicht waren wir bereits an diesem Punkt, vielleicht finden wir ihn dort, wo der deutsche Idealismus, wo Fichte und nach ihm Hegel die Philosophie der Philosophie zu denken versucht haben und noch die Geschichte und ihre Bewegung in dieses Denken einzuschließen versuchten, so dass es kein Entkommen mehr gab aus dieser Immanenz. – Schelling hat es deutlich gesehen: Ein Denken, dem es gelingt, alles einzuholen, dem bleibt nur noch der plötzliche Schritt nach Innen, zum Glauben, der existenzielle Sprung übrig. Marx zieht die umgekehrte Konsequenz und nach ihm alle Marxisten dieser Welt: Wenn die Philosophie sich vollendet, dann muss sich der Überschuss des Denkens auf die Welt, auf die echte Politik beziehen. In ein und demselben Ende sehen die Künstler der Romantik das Reecht einer Kunst, die nur noch reine Öffnung sein darf, ohne Festlegung (das reicht bis zum Präsenz-Pathos eines Johannes Gumbrecht). Schließlich kann eine Philosophie, die sich selbst denkt, dann nur noch nutzbar gemacht werden als Magd der Wissenschaft. Das ist die eigentliche Dialektik der Aufklärung und der Sinn der Apokalypse: Die Aufdeckung der vollen Ordnung führt in die konkreten symbolischen Formen Religion, Wissenschaft, Kunst und Politik hinein und in ihre Verabsolutierung. Gemeinsam mit der Wahrnahme einer Ordnung, die Ökonomie oder Ökologie heißt (das Gesetz und der Logos des Hausrats) ist damit die Apokalypse eine notwendige Beschwörung der Offenheit, die Philosophie je behauptet hat: Die Weltformel, der jüngste Tag, das Leben als Kunst und die Regierung als Selbstzweck. Ein Ausschlag menschlicher Kultur, das, was Althusser und Foucault die ‚Nacht der Philosophie‘ genannt haben. Wir werden uns wiederfinden in einer neuen Verpuppung, einer neuen Genesis, in dem, einmal mehr, das ganze Denken von Neuem beginnt. – Sic semper tyrannis!
Dank meiner apotropäischen Performance in der Kathedrale von Carcassonne am 20.12.2012 hat der Weltuntergang am 21. Dezember 2012 nicht stattgefunden:
Wäre ich also nicht tags zuvor in Carcassonne gewesen und hätte die Ausserirdischen — die schon auf der Höhe des Mondes waren und eben in Bugarach landen wollten — vertrieben dank meiner Performance im Kostüm des Mondgottes Men, so wäre jetzt die Welt nicht mehr da…
[…] @strOmgeist hat bei Blogkow einen sehr lehrreichen Artikel geschrieben: Heute Weltuntergang: Die Apokalypse der Apokalypse […]