Seit dem Beginn der Finanzkrise erfreut sich eine Metapher großer Beliebtheit in den Medien: der Rettungsschirm. Als ein Fond zur Abwendung des Bankrotts von Banken, Unternehmen, schließlich Staaten und zuletzt auch einer ganzen Währung, beginnt seine Konjunktur spätestens Ende 2008, wie die Google Timeline eindrücklich zeigt. So brachte es der Rettungschirm auch zum achtplatzierten Wort des Jahres 2008. Wie und wann genau die Metapher erstmals zur Phrase gedrechselt bzw. zur „Worthülse gedreht“ wurde, läßt sich nur vermuten. Aber seit „die staatliche Förderbank KfW ihren ersten Rettungsschirm „spannte“ , werden weitere Schirme „aufgespannt“ und „erweitert“ (oder auch nicht), man „schlüpft“ oder „flüchtet“ unter sie – einige werden bisweilen unter sie „gedrängt“ , während andere vielleicht nicht mehr „darunter passen“ .
Nun fragt sich, was genau die Metapher eigentlich besagen soll. Geht man von den Bildern aus, zu den die Metapher reichlich Anlass bot, handelt es sich um eine Art Regenschirm, mit dem man jemanden ausstattet, um ihn, zumindest vorerst, ins Trockene zu bringen. Entweder bis der Regen vorbei ist, oder bis der Schutzbedürftige ein sicheres Obdach gefunden hat. Die Finanzkrise wäre demnach so etwas wie ein meteorologischer Zwischenfall, ein Wolkenbruch, der irgendwelche Unglücksraben sozusagen kalt von oben erwischt. Schlimmer aber kann es kaum sein. Bei einer Sintflut müsste man ja allmählich zu nautischen Metaphern aus dem Umkreis von Rettungsbooten oder gar der Arche Noah übergehen. Der Boden unter den Füßen ist also noch fest und man muss nur zusehen, dass die nicht wetterfesten Fußgänger sich keine Erkältung oder Schlimmeres zuziehen.
Spätestens, seit mit dem drohenden Bankrott kriselnder EU-Staaten nicht nur die Gesundheit einzelner Unternehmen und der Bestand von Arbeitsplätzen, sondern die Existenz der gemeinsamen Währung auf den Spiel steht, scheint sich das Bild gewandelt zu haben. Nun erscheint der Rettungschirm zunehmend nicht mehr als Regenschutz, sondern als Fallschirm, wie eine aktuelle Visualisierung des ZDF in der Berichterstattung von heute eindrücklich zeigt (timecode: 01:53). Nun geht es also nicht mehr nur um nasse Füße und durchweichte Häute. Wir befinden uns im freien Fall. Der Boden kommt näher und zwar immer schneller. Und irgendwie muss es nun wohl gelingen, unterwegs noch schnell an einen Fallschirm zu kommen. Unvorbereitet in ein Gewitter zu geraten, kann ja jedem mal passieren. Und auf gnädige Passanten, die einen bei sich „unterschlüpfen“ lassen, darf man auch immer hoffen. Wie aber bei 9,81 m/s2 an einen Fallschirm kommen?
Der Bedeutungswandel der Metapher macht sich schließlich auch im Englischen bemerkbar, das sich in dieser Hinsicht ja zwischen dem Regenschutz „umbrella“ und dem Fallschirm „parachute“ entscheiden muss. So übersetzte die New York Times noch im Mai 2010 aus der Süddeutschen Zeitung das Wort Rettungsschirm mit „rescue umbrella“, während Dailymail im November dieses Jahres die Wortwahl von Minister Brüderle bereits mit „rescue parachute“ wiedergibt. Die Einschlägigkeit der Zitate weist darauf hin, dass es sich dabei um eine genuin deutsche Wortschöpfung handeln könnte, die sich möglichweise von der „Schirmherrschaft“ ableitet. Ein Schirmherr war ursprünglich ein Adliger, der unter Bezahlung eines Schirmgeldes militärischen Schutz bot. So etwas nennt man heute Schutzgeld. Wenn Schirmherren heute nur noch eine mehr oder weniger symbolische Unterstützung (Namen und Image) bieten, werden Schutzgelder heute nicht mehr Schirmgeld genannt. Sollte hierin nun ein bisher unbemerkter Zusammenhang zu der Metapher des Rettungsschirms bestehen?
Zieht man die latenten Konotationen zusammen, so ergibt eine solche Lesart der Metapher folgendes Bild: Das Schirmgeld hat die ursprüngliche Funktion der Schirmherrschaft übernommen, die die Schirrmherren abgelegt haben. Und um es vor sich selbst zu schützen, müssen wir nun alles übrige Geld zu seinem Schutz entrichten, weil es sonst droht, sich im freien Fall in Nichts – und somit auch unser aller Guthaben (sofern vorhanden) – aufzulösen. Mit anderen Worten, wir werden erpresst.
So könnte man denn auch eine mittelbare Verhaltensregel aus der Metapher ableiten: gut anschnallen, und (sofern vorhanden) rechtzeitig Leine ziehen. Wenn der Euro ins Wasser fällt, besteht immerhin noch die Möglichkeit, ein Rettungsboot loszuschicken.
Letztens habe ich mal wieder „Die Katze“ von Dominik Graf gesehen. Da kann man lernen, was auch ein Rettungsschirm sein könnte. Als sich die Bankräuber zu den Fluchtautos aufmachen, spannen sie Regenschirme auf, um es den Polizei-Snipern unmöglich zu machen, gezielt auf sie zu schießen. Vielleicht ist ein Rettungsschirm ja auch dazu da, um eine undifferenzierbare Gruppe zu bilden, die den Einzelnen schützt. Im Film schießt übrigens die Katze Probek (Götz George) auf die unter dem Schutzschirm.
Und was lernen wir daraus? Hüte Dich vor denen, die auf Deiner Seite sind :-)
Leider kenne ich den Film nicht und werde bei nächster Gelegenheit einmal versuchen, die aufgetane cineastische Lücke zu schließen. Die Szene, die Du beschreibst, enthält tatsächlich noch einmal eine interessante Variation des Rettungsschirms. Wer wären denn in diesem Zusammenhang die Sniper? Die Rating-Agenturen und Börsenhaie vermutlich. Fragt sich nur, wer die Katze dann ist…
[…] ganzer Banken nach sich ziehen. Die dann ihrerseits wieder gerettet werden müssen – durch den Rettungsschirm, für den die Staaten wiederum Schulden auf dem Finanzmarkt aufnehmen. In dem Dilemma bekundet sich […]